Auf-Bruch und Veränderung. Der Abriss der UB in Fotografie und Malerei
Einführung von Dr. Antje Lechleiter
Sehr geehrte Damen und Herren,
natürlich mit Prof. Ludwig Quaas und der Gynäkologie, aber auch mit der Kunst im Evangelischen Diakoniekrankenhaus ist der Name Quaas seit Jahren untrennbar verbunden. Almut Quaas organisiert diese Ausstellungsreihe und zusammen mit Jürgen Giersch stellte sie selbst zuletzt im Frühjahr 2010 in diesem Haus aus. Dennoch erleben wir heute und mit dieser Ausstellung eine zweifache Premiere: Wir sehen nicht nur die erste Gemeinschaftsausstellung des Ehepaares, sondern gleichzeitig auch die erste Ausstellung von Ludwig Quaas überhaupt. Angesichts dieser Tatsache mag man den Titel „Auf-Bruch und Veränderung“ nicht nur auf den Abriss der Freiburger Universitätsbibliothek beziehen. Ludwig Quaas beschäftigt sich nämlich seit Anfang des Jahres – wieder – intensiv mit Malerei und Zeichnung. Ich sage „wieder“, denn er hat früher sehr viel gemalt, aber berufsbedingt traten seine künstlerischen Ambitionen rund drei Jahrzehnte lang in den Hintergrund. Mich freut es persönlich sehr, dass diese Abstinenz nun beendet ist, denn schon seit Jahren bewundere ich ein kleines abstraktes Bild im Wohnzimmer der Familie, das – wie ich auf Nachfrage erfuhr – vor vielen vielen Jahren von Ludwig Quaas gemalt wurde. Sein künstlerisches Talent trat wohl bereits als Schüler zu Tage und sein Kunstlehrer am Düsseldorfer Rethelgymnasium, der gleichzeitig an der dortigen Kunstakademie unterrichtete, versuchte ihn damals – allerdings erfolglos – zu einem Kunststudium zu überreden.
Wenn wir heute nun zum Ausgangspunkt dieser Doppelausstellung von Almut und Ludwig Quaas blicken, so kommen wir zu einem echten Freiburg-Thema: Ab März 2011 und dann über mehrere Monate hinweg fotografierte Almut Quaas die Universitätsbibliothek während des immer weiter fortschreitenden Abrisses. Mehrmals wöchentlich war sie vor Ort und beobachtete mit der Kamera, wie sich die Bagger in den Beton fraßen. Die Assoziation an Dinosaurierschnauzen lag nahe, und so entstand neben den Fotografien auch ein 5-minütiger Film, der den Titel „Die Beißer“ trägt. Hier sieht man in bewegten aber menschenleeren Bildern, wie sich die Bagger von mehreren Seiten in den Gebäuderest hineinbissen. Einige Motive aus dem Film finden Sie in den Fotografien wieder, etwa die drei dicken, herabhängenden Betonbrocken, die nur noch von Armierungsdrähten gehalten, scheinbar schwerelos im Raum schweben und eine fast tänzerische Bewegung vollführen (EG, Nr. 29). Hier offenbart sich ein Aspekt, der sich interessanterweise auch immer wieder in den Gemälden von Almut Quaas abbildet: Nämlich ihr Interesse an surrealen Verwandlungen, an Metamorphosen und ihre Auseinandersetzung mit Themen wie Zeit, Bewegung und Vergänglichkeit.
Noch eines strahlen Film und Fotografien überzeugend aus – nämlich die Freude am Abriss dieser Bausünde der späten 70er Jahre. Nur 33 Jahre hatte das Gebäude, dem seinerzeit das wunderbare alte Rotteckgymnasium weichen musste, Bestand. Und wer als Student einmal mitten im Sommer frierend im Lesesaal der UB gesessen hat, der kann diese Freude sehr gut nachvollziehen.
Mich beeindruckt, wie sich der Blick der Künstlerin immer wieder auf Details richtet und sich ausgerechnet über dieses doch eher realitätsnahe Medium Fotografie überraschende Momente der Verfremdung und Irritation ergeben. Das Motiv Ihrer Einladungskarte (1. OG) ist ein gutes Beispiel für eine extrem merkwürdige und kaum entschlüsselbare Gebäudeansicht. Auch das Bild mit dem weißen Vorhang irritiert. Eigentlich schützte dieser während des Abrisses die umliegenden Straßen und Gebäude vor Staub, aber auf der Fotografie wirkt diese Plane ganz und gar nicht funktional, sondern sieht eher wie ein gehäkelter Wohnzimmervorhang aus. Indem Almut Quaas bei einigen Bildern nicht das Positiv, sondern das Negativbild auf die Leinwand drucken ließ, hat sie weitere Verfremdungen ins Bild gebracht. Sehr gut wird dies bei der Fotografie mit dem Kastanienbaum (EG, Nr. 11) sichtbar, dessen Blätter nun eben nicht grün, sondern rosafarben sind. Das Laub wirkt jetzt ganz und gar nicht mehr natürlich, sondern eher wie ein Ornament, wie ein flächiges Muster aus Blüten.
Auch die große Komposition, die in der Eingangshalle hängt, zeigt das Bildnegativ. Hier erkennt man besonders gut, dass bei diesen Bildern auch das Format eine wichtige Rolle spielt. Denn gerade die Größe dieser Arbeiten ermöglicht es dem Betrachter, sich der Bildoberfläche anzunähern und sich auch wieder davon zu entfernen, also den Wechsel der Ver- und Enthüllung der Bildgegenstände mehrfach bewusst ablaufen zu lassen.
Ich habe bereits angesprochen, dass sich Ludwig Quaas seit Anfang 2012 wieder der Kunst widmet, doch ich muss noch hinzufügen, dass er dazu durch die Fotografien seiner Frau angeregt wurde. Er begann nämlich damit, ihre Aufnahmen mit einem Stift zu überzeichnen. Zu dem dabei entstandenen, feinen Liniengeflecht kam dann die Kraft der Farbe hinzu. Inzwischen gibt es neben diesen Übermalungen auch eine ganze Reihe von vollkommen eigenen, vorwiegend abstrakten Gestaltungen, und ich hoffe, dass auch diese autonomen Werke bald öffentlich gezeigt werden können.
Heute geht es aber um dieses gemeinschaftliche Projekt, und die Fotografien für diese Ausstellung wurden von Almut und Ludwig Quaas zusammen ausgesucht. Die Zusammenschau von reiner Fotografie und verschieden starken Übermalungen verdeutlicht, wie sehr sich der Charakter eines Bildes durch Eingriffe zu verändern vermag. Das geht soweit, dass wir mit der auch eine Komposition vorfinden, die mit Grüntönen so stark übermalt wurde, dass vom darunter liegenden Photo kaum mehr etwas zu erkennen ist (EG, Nr. 25). Hier erhebt sich die interessante Frage, ob oder in wie weit die Bildoberfläche überhaupt noch von der Bildrealität ihres Untergrundes abhängig ist. Damit kommen wir schon zur nächsten Frage: Was faszinierte Ludwig Quaas wohl an diesem Motiv des Abrisses der UB? Ich denke, der Zeichner in ihm war zunächst von der linearen Struktur der Armierungsdrähte gefesselt, und er hatte daher den starken Impuls, ihre frei schwingende Entfaltung im Raum durch seine Überzeichnungen zu verstärken, sie aber gleichzeitig an die zweidimensionale Fläche der Leinwand zu binden. Dann ging er noch einen Schritt weiter und spürte durch die Kombination von Linie und Farbfläche der Frage nach, in welcher Form der Stift, also die Linie und in welcher Form die Farbe, also die Malerei verändernd auf die Realität einer Fotografie einwirken können. Das Resultat sehen wir heute: Die Eisenarmierung wurde in natürliche Formungen überführt, aus den Gebäuderesten wurden organische Strukturen geformt, oft erinnern die Liniengeflechte an Schnitte von Zellstrukturen wie sie unter dem Mikroskop betrachtet werden können. Auch in technischer Hinsicht präsentiert sich Ludwig Quaas ausgesprochen experimentierfreudig. Er zeichnet nicht nur mit verschiedenen Stiften, sondern arbeitet auch mit Ölfarbe und mit einem Puder, wie er zum Schminken benutzt wird. Durch die Zartheit und Transparenz dieses Puders entstehen unglaublich poetische Farbwirkungen und auch fast informelle Farbverläufe. So sind Linie und Farbe in Beton und Eisen eingedrungen und haben aufgebrochen, zugedeckt, verändert. Ein Stamm, kleine Äste, traubenförmige Gebilde, Blüten und Blätter, ein fest im Boden verankertes Wurzelwerk - das in Beton gegossene Eisengestänge wurde in etwas Pflanzliches überführt. Nicht der spröden Abrissmasse sondern einem blühenden Wald stehen wir auf den Übermalungen von Ludwig Quaas gegenüber. Und in stiller Übereinkunft mit dem Video „Die Beißer“ von Almut Quaas hat sich auch sein farbig übermalter Bagger in ein lebendiges Wesen verwandelt. Es gibt aber auch Kompositionen, die von einer klaren, tektonischen Struktur geprägt sind. Mir gefällt die Komposition (EG, Nr. 5) sehr gut, in der kleine rechteckige Farbfelder wie Monitore trennend zwischen den Etagen stehen.
Sie sehen im Obergeschoss, dass Ludwig Quaas seine Arbeiten manchmal im kleinen Format vorbereitet, doch da er die großen Leinwände später weiter übermalt und überzeichnet entstehen ausschließlich Unikate.
Sehr geehrte Damen und Herren, Almut Quaas hat für ihre künstlerischen Fotografien den Abriss der Freiburger Universitätsbibliothek zum Anlass für surreale, phantastische Architekturaufnahmen genommen. Ich denke, es ist offensichtlich, dass die Künstlerin ihre Herkunft von der Malerei auch mit der Kamera in der Hand nicht verleugnen kann, und dies muss auch Ludwig Quaas ganz stark empfunden haben, als er damit begann, die Fotografien seiner Frau zu übermalen und zu überzeichnen. Dabei ist etwas höchst Ungewöhnliches passiert: Zwischen der Malerei und Zeichnung von Ludwig Quaas und den Fotografien seiner Frau Almut entstand ein Dialog über diesen speziellen Abriss und den generellen Auf-Bruch zu etwas Neuem. Für mich sind diese Arbeiten ein echtes Gemeinschaftswerk von Almut und Ludwig Quaas und bedanke mich bei beiden für diese Ausstellung.